Die Ausgabe von KölnSkulptur #9 ist eine ganz besondere, da der Skulpturenpark Köln seinen 20. Geburtstag feiert. Unter dem Titel La Fin de Babylone. Mich wundert, dass ich so fröhlich bin! wurde diese Ausgabe von Chus Martínez kuratiert. Dazu sind acht künstlerische Arbeiten neu produziert worden. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog.
Erinnern Sie sich an die Märchen aus Tausendundeiner Nacht? Seit ihrer Übersetzung durch Antoine Galland aus dem Arabischen ins Französische zu Beginn des 18. Jahrhunderts haben diese Geschichten die Fantasie angeregt. In der Nacht des 8. Mai 1709 vermerkt Galland in seinem Tagebuch eine außergewöhnliche Geschichte, die ihm ein syrischer Kaufmann erzählt hatte: die Geschichte von Aladin und seiner Wunderlampe. Die Nacht damals verlief dramatisch, geprägt von Gewaltaufständen wegen Nahrungsknappheit. Hanna Diyab war ein syrischer Handelsreisender, der just um jene Zeit in Paris eintraf und einige dieser finsteren Nächte in wahrhafte Erzählstunden verwandelte. Auf diese Weise beeinflusste er auch das Schicksal eines Buches – „Tausendundeine Nacht“ – denn die Geschichten, die er erzählte, wurden der Übersetzung beigefügt und als Literatur zum Welterbe. Gewiss wäre es unzutreffend, vergliche man die neu entstandenen Arbeiten für die 9. Ausgabe der Ausstellungsreihe KölnSkulptur mit diesen Erzählungen. Doch den Park selbst darf man sich sehr wohl als besonders geeigneten Ort für die Kräfte der Fiktion vorstellen. Gleich der Scheherazade, dieser schlauen jungen Frau, die dem Sultan jede Nacht eine Geschichte erzählt, um zu überleben, so ist auch der Skulpturenpark Köln durch alle seine Ausgaben hindurch diese fortwährende Stimme, die uns die Möglichkeiten in Erinnerung ruft, die wir noch besitzen, um zu überleben – und dies tut durch die Mittel der Kunst.
Der Skulpturenpark Köln ist in seiner räumlichen Ausdehnung nicht riesig, dennoch besitzt er enorme Bedeutung. Die letzten zwei Jahrzehnte hindurch war er Ort, Schauplatz und Heimat der Werke, die für ihn, für Sie, geschaffen wurden. Der Titel der diesjährigen Ausgabe lautet La Fin de Babylone und bezieht sich auf den Traum eines Neuanfangs der Kultur und damit der Gesellschaft. Derartiges gibt es nicht – und gibt es doch. Einerseits müssen wir das Leben nehmen wie es ist, die Umstände sind schwer zu verändern und unsere Einflussmöglichkeiten bleiben beschränkt. Es gibt Zeiten, wo wir meinen, in der Vergangenheit sei es besser gewesen, und andere Zeiten, die wir als voller Möglichkeiten und Offenheit begreifen. Den Unterschied zwischen diesen beiden Wahrnehmungen bestimmt die Art und Weise, wie wir unsere vergleichsweise Unwichtigkeit betrachten. Oh! Sie können einwenden, es läge an der Ökonomie. Doch selbst wenn die Wirtschaft floriert, ist nicht garantiert, dass eine soziale Umgebung geschaffen ist, in der wir uns als bedeutsam für andere erfahren, in der wir das Gefühl haben, Einfluss auf die Gemeinschaft nehmen zu können, am Verlauf der Ereignisse teilzuhaben oder diese gar zu feiern … An dieser Stelle biete ich eine totale Übertreibung: Man stelle sich vor, dass die Produktion dieser acht neuen, ortsspezifischen Werke, die sich zu den bereits bestehenden auf diesem Gelände hinzugesellen, der Schlüssel für den Beginn einer neuen Welt ist. Ich fordere Sie daher nicht nur dazu auf, diesen Park zu durchstreifen und die unterschiedlichen Werke zu entdecken, sondern ich wünsche mir, dass Sie deren Existenz als Wunder betrachten, das die Ordnung der Welt beeinflussen kann. Das ist übertrieben, denn so ist Kunst.
Darum zum zweiten Teil des Titels: Mich wundert, dass ich so fröhlich bin! Dieser Satz, voller gesundem Humor, bezieht sich nicht auf uns, sondern auf jene Anstrengungen, die Kunst stets unternimmt, um jedes Mal, wenn sie geschieht, großartig zu sein. Kunst und Künstler:innen sind es, die den Einsatz wagen, die sichtbar werden lassen, dass es tatsächlich wert ist einzugreifen, und die für den Park Beiträge geben, die nicht bloß für ein Stück Land bestimmt sind, sondern für eine ganze Welt. Diese notwendige „Übertreibung“ ist es, die motiviert, über Möglichkeiten der Einflussnahme nachzudenken, was einfach und komplex zugleich ist. Das mag der Grund dafür sein, dass die unterschiedlichen Arbeiten dieser Ausgabe eher nicht-monumental sind. Sie verkörpern ja bereits den enormen Versuch, die Wirklichkeit zu beeinflussen und uns auf eine Weise zu berühren, in welcher jedes Stückchen Skeptizismus oder Zynismus gegenüber der Bedeutung von Kunst zum Verschwinden gebracht wird. Haben wir uns erst der Last des Zweifels entledigt, werden wir alle eine neue Freude erfahren.
Chus Martínez
Kuratorin der Ausstellung KölnSkulptur #9